
Larina Wiesen. Foto: DRV/Schwier
Die Anfänge als Steuerling*
Schritt für Schritt an die Aufgabe heranführen: Gerade bei jungen Steuerleuten sollte zu Beginn nicht zu viel auf einmal gefordert werden. Hierbei muss vor allem beachtet werden, um welche Altersklasse es geht und wie die eigenen ruderischen Vorerfahrungen des Steuerlings sind.
Vielleicht reicht es in den ersten Einheiten, erstmal „nur“ zu steuern. Stück für Stück können dann an Land und auf dem Wasser auch die Kommandos übernommen und technische Hinweise gegeben werden.
Hierbei kann es hilfreich sein, mit allen Beteiligten diesen Weg zu besprechen und die Aufgaben festzulegen, die der Steuerling in den kommenden Einheiten übernehmen soll, da gerade bei jüngeren Athlet*innen sonst schnell Unzufriedenheit bzw. Unverständnis entstehen könnte für die Arbeit des Steuerlings. Eine andere Idee ist es, im Kinderbereich in der Ausbildung jede*n einmal steuern zu lassen, damit das Verständnis für diese Aufgaben geschult wird.
Zeit nehmen und Zeit geben: Steuerlinge laufen oft ein Stück weit nebenher. Umso wichtiger ist es, sich gerade zu Beginn Zeit für Gespräche zu nehmen und auftretende Fragen zu beantworten. Wenn man dem Steuerling konkrete Tipps oder Kommandos mitgibt, sollte man ihm dann aber auch die Zeit geben, diese umzusetzen und für sich einen Weg zu finden, Kommandos einzubringen und ein Gefühl für das Boot und die Mannschaft zu entwickeln.
Steuerlinge sind in gewisser Weise kleine „Führungskräfte“ einer Mannschaft – die erforderlichen Eigenschaften hierfür bringt nicht jeder von klein auf mit, aber sie sind in gewisser Weise mit Geduld und Feedback erlernbar.
Von außen zu Beginn viel Input geben Gerade auf dem Wasser sollte zu Beginn im Optimalfall ein Coach im Motorboot dabei sein, der von außen den Kurs im Blick behält (gerade bei sitzenden Steuerleuten), aber eben auch von außen technische Korrekturen vornimmt und Übungen ansagt. So kann der Steuerling sich zunächst auf das Steuern konzentrieren und parallel spüren, was die technischen Ansagen und Übungen am Bootslauf verändern.
Viel ausprobieren lassen: Es gibt verschiedene Wege der Kommunikation an Bord, die erfolgreich sind. Einige Steuerlinge erklären im Training sehr detailliert, wie sich eine bestimmte Bewegung anfühlen soll, andere machen lieber kurze Rhythmus-Calls wie beispielsweise „Zack“ bei jedem Setzen in der vorderen Umkehr. Ein wirkliches Richtig oder Falsch gibt es hier nicht. Wichtig ist, dass der Steuerling sich am Ende mit den Ansagen wohlfühlt und das Gefühl hat, dass sie für die Mannschaft zielführend sind.
In das tägliche Training einbeziehen: Es ist auf jeden Fall sinnvoll, gerade in den jüngeren Altersklassen noch nicht zu stark zwischen Steuerlingen und den anderen Athlet*innen abzugrenzen. Wenn gesteuerte Boote gefahren werden, hat der Steuerling natürlich seine Aufgabe, aber bei den anderen Einheiten sollte der Steuerling auch mal eigene Erfahrungen auf dem Ruderplatz, auf dem Ergometer oder im Kraftraum machen können. Eine Bewegung oder eine Übung, die man selbst ausprobiert und verstanden hat, kann man als Steuerling viel leichter an die Athlet*innen weitergeben und überzeugend vermitteln.
Gewichtsmanagement: Man sollte dem Steuerling von Beginn an vermitteln, dass es natürlich das Mindestgewicht auf den Regatten gibt, was im Optimalfall nicht zu sehr überschritten werden sollte. Nichtsdestotrotz muss der Steuerling auf der Regatta wichtige Entscheidungen in Rennsituationen treffen können. Hierfür ist es nicht zielführend, auf der Regatta noch extrem Gewicht zu machen, weil dann das Gehirn einfach nicht so gut funktioniert. Gerade bei jüngeren Steuerlingen sollte man auf jeden Fall im Blick behalten, wie sich das Gewicht entwickelt, um im schlimmsten Fall auch Essstörungen vorzubeugen.
Die Aufgaben als Steuerling
Entscheidungen treffen (auch in Stresssituationen): Die Hauptaufgabe als Steuerling ist es in meinen Augen, immer wieder Entscheidungen zu treffen. Begonnen mit einer Entscheidung für eine bestimmte Ansage oder Übung im Training bis hin zur Entscheidung im Rennen einen Spurt zu setzen oder auch mal die Taktik an eine Rennsituation anzupassen. Hier ist es wichtig, dass der Steuerling im Zweifelsfall auch den Mut hat, Entscheidungen ohne Absprache mit dem Coach zu treffen, sofern dadurch keine ernsthaften Gefahren für die Mannschaft entstehen, und für diese im Nachhinein einzustehen – Fehlentscheidungen gehören dazu und sind extrem wichtig in der Entwicklung.
Gerade in kritischen Situationen sollte der Steuerling nach Möglichkeit einen kühlen Kopf bewahren und Ruhe ausstrahlen. Beispielsweise vor einem Rennen ist die Mannschaft oft aufgeregt genug, sodass der Steuerling Sicherheit ausstrahlen sollte, um die Mannschaft zu beruhigen.
Beobachten und kommunizieren: Auf dem Wasser besteht die Aufgabe darin, gerade beim sitzenden Steuerling, die Bewegung der Riemen/Skulls und der Athlet*innen im Blick zu behalten und technische Korrekturen vorzunehmen. Hier hilft es zu Beginn, dem Coach zuzuhören und dessen Ansagen von außen in eigenen Worten wiederzugeben und gegebenenfalls durch Rhythmus-Calls zu untermalen.
An Land hat der Steuerling auch die Aufgabe, ein Stück weit die Mannschaft im Blick zu haben und kritische Situationen im Zweifelsfall mit der Mannschaft und/oder dem Coach zu kommunizieren. Natürlich muss nicht alles direkt an den Coach „gepetzt“ werden, aber wenn die Leistung eines Mannschaftsmitglieds unter beispielsweise einer schwierigen Situation zuhause leidet, wäre es eine Möglichkeit, das Gespräch mit der Person zu suchen und im Zweifelsfall auch den Coach zu informieren.
Disziplin vorleben und einfordern: Als Steuerling hat man eine Sonderrolle in der Mannschaft. Man ist natürlich körperlich nicht so stark gefordert wie die anderen in der Mannschaft. Stattdessen ist die mentale Belastung oft hoch, da man einfach viele Aspekte im Kopf behalten muss und für die Aufgabe und das tägliche Training brennen muss, um die Mannschaft zu pushen.
Um von der eigenen Mannschaft Disziplin im täglichen Training einzufordern, ist es relevant, selbst Disziplin vorzuleben. Wenn ich als Steuerling immer zu spät komme und eigentlich nur einmal im Monat da bin, wenn mal ein gesteuertes Boot gerudert wird, ist es schwierig von der Mannschaft täglich hartes Training einzufordern.
Enger Austausch mit dem Coach: Unabhängig von dem Austausch mit dem Coach, der oben schon einmal angesprochen wurde, sollte der Steuerling regelmäßig das Gespräch mit dem Coach suchen. Was fällt ihm aktuell auf? Was sieht er als größte technische Baustellen? Wo will er mit der Mannschaft hin? Was ist das Ziel für die Saison? Wie will er das Boot besetzen? Wo will er in den nächsten Einheiten den technischen Schwerpunkt setzen?
Man sollte keine Angst haben, zu viele oder doofe Fragen zu stellen. Je besser der Steuerling versteht, wie der Coach tickt, desto besser kann er im Boot mit ihm zusammenarbeiten.
Motivieren: Im Rennen kommen die Athlet*innen irgendwann an den Punkt, wo eigentlich nichts mehr geht, das Rennen aber meistens trotzdem noch mindestens 350 Meter läuft. Hierfür ist es wichtig, als Steuerling ein paar Triggerpunkte der Mannschaft zu kennen. Was motiviert die/den einzelnen? Was hat in vergangenen Rennen gut funktioniert? Was haben wir vielleicht schon zusammen geschafft? In jeder Mannschaft gibt es bestimmte Trigger, die die Athlet*innen über ihre Grenzen hinaus motivieren können.
Hierfür kann es auch hilfreich sein, selbst mal eine Ausbelastung auf dem Wasser oder dem Ruderergometer durchzuziehen, um das Gefühl der Athlet*innen nachvollziehen zu können.
Bootsmaterial pflegen: Ich persönlich bin kein Freund davon, jegliche Bootspflege dem Steuerling allein zu überlassen, aber er sollte am Ende die Verantwortung übernehmen, die Mannschaft zum Bootputzen zusammen zu holen und den Zustand des Materials im Blick zu behalten.
Hierzu zählt auch, dem Coach ehrlich mitzuteilen, wenn mal was passiert und das Boot einen kleinen oder großen Schaden erlitten hat. Sowas gehört zu der Aufgabe dazu, dass auch mal kleinere Unfälle passieren. Je früher der Coach davon weiß, desto schneller können entstandene Schäden behoben werden.
Steuern: Auch wenn ich diesen Punkt bewusst als letztes anbringe, da auf Regatten im internationalen Bereich eigentlich nur 2000 Meter geradeaus gefahren werden, will ich ihn im Bezug auf andere Situationen kurz näher erläutern.
Im Training sollte jeder Steuerling für sich mal ein wenig experimentieren. Was passiert, wenn ich das Steuer abrupt komplett einschlage? Wie reagiert das Boot? Kippt es zur Seite weg? Fängt das Boot vielleicht sogar erst verzögert an, in die Richtung zu fahren, die ich durch mein Steuern vorgebe? Schaffe ich es vielleicht auch mit kleineren Steuerbewegungen, das Boot auf Kurs zu halten? Ab welcher Bootsgeschwindigkeit hat mein Steuern einen Einfluss?
Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass es immer besser ist, möglichst sanft zu steuern. Das heißt: kleine Bewegungsamplituden und die Trägheit des Steuers im Blick behalten. Oft reagiert ein Boot erst nach zwei/drei Schlägen. Wenn ich jetzt aus Panik noch stärker das Steuer einschlage, versteuere ich und komme nicht mehr zurück in die Spur. Ein komplettes Einschlagen des Steuers sollte nur in ganz brenzligen Situationen oder bei extrem engen Kurven erfolgen.
Die Aufgaben als Coach
Erwartungshaltung klären und kommunizieren: Als Coach muss ich mir die Frage stellen, was ich von meinem Steuerling erwarte. Jeder Coach hat hier andere Vorstellungen. Das können die Steuerlinge aber nicht riechen. Deshalb macht es Sinn, vor einer ersten Einheit mit einem unbekannten Steuerling die eigene Erwartungshaltung weiterzugeben. Welches Einfahrprogramm stelle ich mir vor? Darf der Steuerling selbst technische Übungen einstreuen? Worauf möchte ich technisch besonders achten?
Technische Übungen erklären: Bei einem mir unbekannten oder einem neuen Steuerling ist es sinnvoll, jede Übung vorab zu erklären oder sich nach der Einheit die Zeit hierzu zu nehmen. Der Steuerling sollte verstehen, mit welchem Ziel und wann eine bestimmte Übung ins Training integriert wird, um sein eigenes Bootsgefühl nutzen und die Übung zukünftig eigenständig einbauen zu können.
Technisches Leitbild erklären: Genauso, wie der Coach den Athlet*innen vermittelt, wie er sich das ideale Rudern vorstellt, sollte er auch dem Steuerling seine Vorstellungen der Rudertechnik vermitteln. Natürlich gibt es allgemeingültig das rudertechnische Leitbild des DRV, aber jeder Coach setzt hier ja seine eigenen Schwerpunkte – abhängig von der Mannschaft und dem Leistungsvermögen.
Eigene Entscheidungen erklären: Dieser Aspekt wird wichtiger, je höher das Level der Zusammenarbeit ist. Im Endeffekt erleichtert es die erfolgreiche Zusammenarbeit, wenn der Steuerling Gedankengänge und Entscheidungen des Trainers nachvollziehen kann und sie so im Zweifelsfall auch in der Zusammenarbeit mit den Athlet*innen vertreten kann. Es geht nicht darum, dass der Steuerling Entscheidungen mittreffen soll, aber er sollte den Weg zu den Entscheidungen verstehen können. Das kann sich auf Bootsbesetzungen, Bootseinstellungen, Taktiken oder Saisonziele beziehen.
Entscheidungen akzeptieren: Je besser und sicherer ein Steuerling wird, desto eher wird er Entscheidungen treffen, die vielleicht nicht dem Ideal vom Coach entsprechen. Beispielsweise kann eine Rennsituation es erfordern, dass der Steuerling von der vorab besprochenen Taktik abweicht, weil er im Rennen das Gefühl hat, so eher das besprochene Ziel zu erreichen. Solange solche Entscheidungen mit der Intention getroffen werden, das vereinbarte Ziel zu erreichen, müssen diese im ersten Moment vom Coach akzeptiert werden.
Feedback geben: Coaches geben den Athlet*innen in jeder Einheit und nach jeder Einheit meist sehr ausführliches Feedback – Steuerlinge hingegen hören meistens nur, wenn etwas nicht lief oder sie einen Fehler gemacht haben.
Auch Steuerlinge können nur besser werden, wenn sie regelmäßiges Feedback erhalten. Beispielsweise können Trainingseinheiten oder Rennen mit einem Handy aufgenommen und mit dem Coach in Ruhe ausgewertet werden. Oder der Steuerling erhält Feedback zu seiner Arbeit an Land oder zu seinem Steuern auf dem Wasser.
Um live in Trainingseinheiten reinzuhören, bieten sich beispielsweise Systeme wie CeeCoach an. Dies kann umgekehrt auch helfen, unerfahrenen Steuerleuten über ein Headset in der laufenden Einheit Tipps zu Kommandos geben zu können.
Fehler zulassen: Jeder Steuerling wird im Laufe seiner Zeit Fehler machen, die manchmal auch zu Bootsschäden führen können. Kein Coach ist begeistert, wenn etwas kaputt geht, aber man sollte immer bedenken, was für Möglichkeiten der Steuerling von seinem Platz aus hat.
Gerade im Achter hat der Steuerling einen enormen toten Winkel (gelbes Dreieck in der Grafik) vor sich, mit dem er arbeiten muss. Hindernisse, die frontal vor dem Achter auftauchen, kann er somit nicht erkennen. Hier ist der Coach im Motorboot oder aber der Bugmann gefordert, den Kurs mit im Blick zu behalten.
Verantwortung aufteilen Gerade jüngeren Steuerlingen sollte man nicht direkt die komplette Verantwortung für alles überlassen, da dies schnell zu Überforderung führen könnte. Vielmehr sollte der Coach einen Teil der Verantwortung übernehmen und dem Steuerling und auch der Mannschaft vermitteln, was die Aufgaben des Steuerlings sind und welche Aufgaben der Coach übernimmt.
Ich hoffe, dieser kleine Überblick hilft euch ein wenig, in der Zusammenarbeit mit euren Steuerlingen im Verein.
Autorin: Dieser Handlungsleitfaden wurde von Larina Wiesen, langjährige Steuerfrau der Nationalmannschaft, für das Rudersymposium 2025 erstellt. * Sie verwendet den Begriff Steuerling als Synonym für Steuerfrau und Steuermann.