Die Elbe – eine etwas andere Wanderfahrt
Unterwegs mit dem Domschulruderclub Schleswig
„Wir wollen die Elbe rudern. Kommst du mit?“ „Von wo nach wo denn?“ „Von der tschechischen Grenze bis Geesthacht, knappe 600 km.“ „Ihr spinnt. Total verrückt – aber … hört sich spannend an.“ (Kann ich das? Macht mein Rücken das mit? Und mein Hinterteil? – Andererseits, wenn nicht jetzt, wann dann?) „Also gut, ich bin dabei.“
Der Rest der Crew (ein Vierer mit Steuermann) ist schnell gefunden, es muss ja doch noch genug Verrückte geben. ‚Jan und Hein und Klaas und Pit, die haben Bärte … die fahren mit.‘ Und so fahren am 10. Juli zwar nicht Jan und Hein, sondern Günter und Klaus und Pit, die bärtigen Schleswiger, und Jutta und Heida, zwei nicht minder verrückte, aber weniger bärtige, Frauen im Wohnmobil mit Bootsanhänger Richtung Dresden.
Die Fahrtenbesprechung war kurz und uninformativ gewesen. „Welche Rudervereine soll ich anmorsen?“ „Nee, lass man, das machen wir spontan, wir wissen ja gar nicht genau. Wir nehmen Zelte mit und schauen, wie es kommt.“ Schließlich haben die Wikinger ihre Quartiere auch nicht vorgebucht. Nebenbei bemerkt: wir hatten etwa 350 Lebensjahre im Boot!
Es kommt, wie es kommen muss – die ersten beiden Nächte in Dresden waren geplant, also auch gebucht – nur hat uns unser Kontaktmann leider vergessen. Was tun? Zelte aufgebaut, in der netten Kneipe nebenan essen gegangen und dann – wozu hat man seine Kontakte? – bei Ingrid ist noch Licht, also geklingelt, Lage erklärt und schon haben wir Zugang zum Ruderverein.
Nachts Regen, am nächsten Morgen Nieselregen. Auf geht‘s nach Schmilka. Zum Programm gehört auch kein Navi, also über Umleitungen und eine niedliche Autofähre – wir passen tatsächlich drauf – ans andere Elbufer. Leider ist der Wasserstand sehr niedrig und die Rampe sehr steil. Geht gerade noch gut. In Schmilka setzen wir bei der Fähre ein, der Nieselregen hört langsam auf und unsere Abenteuertour beginnt. Auf dem Weg zu unserer ersten Station Dresden machen wir uns mit dem Fluss, der Strömung, den Gierseilfähren und der überwältigenden Landschaft vertraut. Zur verspäteten Mittagspause in Rathen scheint die Sonne am strahlend blauen Himmel und beschert uns unseren ersten Sonnenbrand, weil bei dem griesgrauen Wetter keiner an Sonnenschutz gedacht hat. Wie gesagt, der Wasserstand ist sehr niedrig und die Brücke zum Steg in Dresden erinnert an eine Spitzgiebelkonstruktion, aber das kann echte Wikinger ja nicht schrecken. Boot versorgt, ein Teil der Crew fährt mit der S-Bahn nach Schmilka, das Auto und den Trailer holen, die in Dresden stehen bleiben werden. Der Rest sorgt für ein opulentes Abendbrot, das dann gegen 22.30 Uhr eingenommen werden kann.
Am zweiten Morgen kommt die Stunde der Wahrheit, denn jetzt muss das gesamte Gepäck im Boot verstaut werden. Jeder fragt sich gespannt, wie viel Freibord wir wohl noch haben werden. Vorsichtshalber werden noch einige Unterhosen im Bus gelassen. Doch dank der Stapelkünste unseres Verpackungsspezialisten Pit geht alles hinein und wir haben noch ausreichend Freibord. Dresden vom Wasser aus ist eigentlich viel zu schön um weiterzufahren, aber was soll’s. Die Strömung treibt das Boot weiter, durch Weinberge und interessante Uferformationen, dann Meißen. Das Ufer wird flacher. Die nächste Station ist Riesa, wo wir unseren Schatzmeister und Quartiermacher Klaus zur Charmeoffensive in den Kanuverein schicken. Wir können unsere Zelte hinter dem Haus auf dem Rasen aufschlagen, wo wir gemeinsam mit einigen Paddlern eine ruhige Nacht verbringen.
Am dritten Tag geht es weiter Richtung Torgau. Zwischenstation in Mühlberg beim Ruderverein, alles offen, keiner da. Damit ist unsere Hoffnung auf ein kühles Radler dahin, aber wir machen es uns auf der kleinen Terrasse bequem und lassen uns von Günter, unserem Verpflegungschef, verwöhnen. Wir sind schon fast wieder im Aufbruch, da kommt doch noch jemand – und noch dazu ein Stadtführer aus Leidenschaft, der uns die interessante Geschichte Mühlbergs nahebringt. Ein weiterer Besuch lohnt sich immer. Hoffnungsvolle Rufe der Steuerleute: “Sonnenschirme!“, die auf einen Biergarten hinweisen und den Durst der Ruderer auf ein leckeres Radler wecken, verhallen immer wieder ungehört, denn die Biergärten sind nur für Radler und bestenfalls Kanuten erreichbar. Für Ruderer gibt es keine Anlegemöglichkeiten. Ein eindeutiges Manko, da sollte der Ruderverband mal aktiv werden.
Übernachten in Torgau erweist sich als überhaupt kein Problem. Wir werden sehr gastfreundlich aufgenommen und man bietet uns gleich den Bungalow an. Dieses freundliche Angebot nehmen wir dankend an und nutzen den Grillplatz vor dem Hause für ein köstliches Abendessen, nachdem wir den hervorragenden örtlichen Schlachter heimgesucht haben. Nach dem Essen machen wir einen Spaziergang durch den äußerst geschichtsträchtigen, wunderschönen Ort mit Schloss und Bärengraben. Ein Absacker wird uns vom Wirt des „Alten Bootshauses“ verwehrt (Feierabend – vielleicht hätten wir bei ihm essen sollen.)
Am nächsten Morgen erweist sich die Plackerei, das Boot wieder zu Wasser zu lassen als wesentlich weniger anstrengend als das Gegenteil am Abend zuvor. Bei solchen Gelegenheiten überlegt man schon, dass man doch Ruderer geworden ist und nicht Bergsteiger. Aber gelegentlich soll die Elbe ja auch deutlich höher stehen – was sich eindrucksvoll an einigen Bootshäusern ablesen lässt. Bislang ist in diesem Bericht versäumt worden, etwas zu der Rolle der Frauen in dieser Crew zu sagen: Also, die Berichterstatterin ist Einkaufsassistentin und Schlagfrau, außerdem Medizinfrau, weil mit tonnenweise Pflaster u. ä. ausgestattet, was allerdings fast ausschließlich dem Eigenbedarf dient. Und Jutta ist der Lehrling, deren Versuche, die Ruderkommandos einwandfrei und situationsgerecht über die Lippen zu bringen, stets zur Erheiterung der restlichen Crew beiträgt.
Wenn der Steuermann bei km 175 außerdem noch touristische Erläuterungen aus dem Flussführer vorliest, ist eine unheimliche Begegnung der dritten Art mit einer – unlängst im Rudersport beschriebenen – heimtückischen Tauchtonne (grün), die unvermittelt vor nichts Böses ahnenden, harmlos daherkommenden Ruderern auftaucht, unvermeidlich. Es bleibt glücklicherweise bei einem gehörigen Schrecken und einem blauen Schienbein des Bugmannes.
In Wittenberg ist wieder bergsteigen angesagt. Unsere Zelte auf dem Rasen vor dem Ruderverein werden vorsichtshalber gut verankert, denn es ist windig. Wind gegen Strom, versteht sich. Wir machen uns auf den langen Marsch nach Wittenberg, betrachten das Tor der Schlosskirche durch den Bauzaun und finden uns schließlich in „Tante Emmas“ guter Stube zum Abendessen wieder. Absolut empfehlenswert! Der kessen Bedienung verschlägt es die Sprache, als sie hört, dass wir älteren Herrschaften erstens rudernderweise unterwegs sind und zweitens nicht im Hotel sondern im Zelt schlafen. Die Nacht ist unruhig, denn der Wind flaut nicht ab. Am nächsten Morgen verschieben wir die Abfahrt, die Elbe zeigt Schaumkronen. Ein bergauf rauschender tschechischer Containerschubverband, den wir beobachten, lässt bei uns die bange Frage aufkommen, was wohl passiert wäre, wenn wir dem begegnet wären. Die stehende Welle, die sich auf beiden Seiten im Neerstrom aufbaut, gibt eine ziemlich eindeutige Antwort: abgesoffen! Schön, dass wir an Land sind. Gegen Mittag lässt der Wind soweit nach, dass wir uns auf den Weg machen. Bei den Wassersportfreunden Rodleben-Dessau übernachten wir in zwei Bauwagen! Die Sanitäranlagen sind sehr gepflegt.
Tag sechs bringt uns eine Mittagspause im Ruderclub/Kanuclub Aken, wo ein Wildschwein verlockend am Spieß brät – aber wir wollen ja weiter nach Magdeburg. Dort angekommen schleichen wir uns in die Alte Elbe, Wassertiefe bei Niedrigwasser unter einem Meter (hier deutlich darunter). Im Ruderverein wird gefeiert, im Kanuverein nebenan auch, also fahren wir weiter zum Kanu-Klub Börde Magdeburg. Dort werden wir herzlich willkommen geheißen und zelten zusammen mit Radwanderern auf der Wiese. Zu unserem Leidwesen feiern auch dort zwei unverheiratete 30jährige ihren Geburtstag – und die Nachtruhe wird kurz und eher zur Unruhe. Auch der Biber, der am Steg vorbei zu seinem Bau schwimmt, verzieht sich schnell. Also verzichten wir am nächsten Morgen auf eine Stadtbesichtigung und schauen uns am Tag sieben die Skyline von Magdeburg vom Wasser aus an. Die Stimmung ist etwas gedrückt, weil alle unausgeschlafen sind. (Kann man in unserem Alter nicht mehr so ab!) Dennoch sind wir sehr beeindruckt von der Unterquerung des Mittellandkanals.
Irgendwie bietet sich kein Ort so richtig als Etappenziel an, da finden wir den Rastplatz Family-Camp Kellerwiehl auf der Karte. 800 Meter vom Ufer entfernt. Gegen Abend fängt es an zu regnen – Bindfäden, was die Stimmung nicht gerade hebt. Wir finden tatsächlich das blaue Schild am Ufer, aber keinen Steg. Egal, wir legen an und finden nach ca. 800 Metern durch den triefenden Wald einen Campingplatz. Mit Hütten! Keine Frage, hier bleiben wir. Trockengelegt und mit einer leckeren, mit Wurst veredelten Tütenlinsensuppe gesättigt, schauen wir uns in der Kneipe die zweite Halbzeit des Frauen-WM-Finales an – und den Wetterbericht: links ein Tief und rechts ein Tief, in der Mitte ein schmaler Korridor mit einem Hoch – auf dem bewegen wir uns weiterhin.
Der Regen hört morgens auf und weiter geht es am Tag acht nach Havelberge. Zwischenstopp in Tangermünde mit Stadtbesichtigung. Absolut empfehlenswert, auch wenn man nicht gerade zur Storchenzeit da ist, wo jedes Storchennest besetzt ist und die Jungstörche sich auf der Nestkante auf den großen Flug vorbereiten. Nach einem kleinen Schwätzchen mit einer Tangermünder Ruderin geht es weiter. Ein Blick auf unsere Karte lässt uns fluchen – laut Karte ist die Schleuse Havelberg nur bis 18 Uhr besetzt. Das schaffen wir nie. Die angegebene Telefonnummer wird nicht beantwortet.
Naja, legen wir halt erst mal hinter der Gierseilfähre Räbel an. Der freundliche Fährmann informiert uns, dass die Schleuse inzwischen vollautomatisch ist und von Brandenburg aus gesteuert wird. Als er von seiner Tour zurückkommt, hat er schon angerufen – wir können bis 19.30 Uhr schleusen. Nichts wie hin! Schon komisch, ein winziges Ruderboot allein in einer großen Schleuse. In Havelberg finden wir beim Ruderverein eine Telefonnummer und schon sind wir in Bungalows untergebracht.
Tag neun beginnt mit einer Klettertour auf den „Havelberg“ inklusive Dombesichtigung. Inzwischen ist die große Wäsche trocken. Dann wieder zurück durch die Schleuse und auf die Elbe. Das Ziel ist Wittenberge. Wie so häufig haben wir die Elbe für uns alleine. Die Rufe der Steuerleute: „Reiher auf Steuerbord, Storchennest mit Störchen auf Backbord, Adlerpärchen über uns!“ häufen sich. Jeder versucht, den anderen zu übertreffen. Unser Lehrling ist in Verlegenheit, einen Jungadler, der von einer Krähe verfolgt wird, zu toppen – und versucht es mit Kumulation: „Drei Reiher, fünf Rotschenkel und 25 Graugänse auf Steuerbord!“, was nur mit einem müden Lächeln quittiert wird.
Ganz hinten im Hafen von Wittenberge befindet sich der Wassersportverein, bei dem wir ein Quartier im Bootshaus finden.
Tag zehn beginnt mit einer Einkaufstour (Proviantmeister, Assistentin und Lehrling). Der Rest der Crew (beides ehemalige Lehrer der Domschule) wird bei der Rückkehr in angeregtem Gespräch mit einer Radlerfamilie aus Husum angetroffen, die wir auch schon in Tangermünde sahen. Die Welt ist ein Dorf: der Familienvater war vor einigen Jahren Kollege an der Domschule. Dann geht es zurück auf die Elbe mit Ziel Dömitz. Wieder zeigt sich die Elbe von ihrer freundlichen Seite. Gepicknickt wird am schönen Sandstrand zwischen den Buhnen. In Dömitz gehen wir durch die Schleuse der Müritz-Elde-Wasserstraße und zelten – umgeben von Schafen – beim Yachthafen. Abends leckeres Essen im Elbcafé. Sagte ich schon, dass die Welt ein Dorf ist? Ein Mann kommt an unseren Tisch und fragt ganz aufgeregt, ob wir wirklich vom Domschulruderclub Schleswig sind. Er war früher DRC-Schülerruderer und schwelgt in Erinnerungen an Wanderfahrten. Adressen werden ausgetauscht.
Tag elf: Gepäck zusammenpacken, Abmarsch zur Festung, Stadtbesichtigung, Besuch im Kaufhaus der Brauerei Vielanker und dann beladen wir unser Boot und schleusen wieder Richtung Elbe. Unser Gesang (Das Tor geht auf …) erfreut die Schleusenwärterin. Wir haben mal wieder Wind gegen Strom, wenn auch zunächst Sonne. Es wird kühler und in der Pause finden wir am Elbestrand eine vorbereitete Feuerstelle, die wir gerne nutzen. Auch hier wieder, wie schon so oft, Biberspuren, Waschbärentatzen und – mal was Neues: ein mit Knochen verzierter Baum. Ein im Wasser treibender Stock wird bei Annäherung plötzlich lebendig und schlängelt sich eiligst davon. Eine Ringelnatter. In Klein Kühren am Campingplatz gehen wir an Land und bauen unsere Zelte auf der Wiese auf. Abschiedsstimmung macht sich breit, ist morgen doch unser letzter Rudertag.
Und was für einer! Nachts brist es auf. Schaumkronen stehen auf der Elbe. Zu allem Überfluss fängt es auch noch an zu regnen. Was soll‘s. Dat nützt nu nix, da möt wi dörch. Also Regenzeug an und los. Die Schlagfrau fühlt sich an Kap Hoorn erinnert und stimmt Shanties an. Der Rest der Crew fällt ein – leider scheitert es nicht nur an der fehlenden Puste sondern auch an der Textsicherheit. Anmerkung für zukünftige Rudertouren: wasserfeste Liederbücher! Kurz vor Lauenburg ein letzter Steuermannswechsel, da die Steuerfrau durch zwei übernommene Etappen steifgefroren ist. Der Lehrling wird hier, nicht nur wegen mangelhafter Regenausrüstung, nicht ans Steuer gelassen. Wenn es schlimmer wird, sollten wir in Lauenburg aufhören. Es wird nicht schlimmer (aber auch nicht besser) und wir erreichen pitsche-patsche-nass den Geesthachter Kanuverein. Die zweite Telefonnummer antwortet und innerhalb von zehn Minuten haben wir ein warmes, gastfreundliches Quartier. Unser leckeres Brot können wir auswringen, trockene und warme Sachen für einen Gaststättenbesuch haben wir auch nicht mehr, also rufen wir den Pizzaservice – und bestellen hungrig viel zu große Pizzen. Aber kalte Pizza schmeckt ja auch am nächsten Tag.
Mit Taxi und Bus machen sich unsere beiden Fahrer am nächsten Morgen auf nach Hamburg, um mit der Bahn nach Dresden zu fahren und den Bus und Trailer zu holen. Der Rest der Crew geht einkaufen, macht das Boot sauber und relaxt. Die Rückkehr der Fahrer erleben die Zurückgeblieben-en nur noch schlafend. Die Rückfahrt nach Schleswig verläuft ruhig. Nun ist es vorbei unser großes Abenteuer. Und es war nicht nur groß, es war einfach großartig. Welch ein Erlebnis!
Heida Benecke, Domschulruderclub Schleswig e.V.
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